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Der kalifornische Holocaust Victim Insurance Relief Act -
ein ungerechtfertigter Eingriff in internationale Beziehungen?

von Sabine Röttger*
Erstveröffentlichung 14. Mai 2003

Zur Frage der Beziehung zwischen einzelstaatlichem Recht und dem Bundesvorbehalt auf die Aussenpolitik fand am 24. April 2003 eine Anhörung der Parteien des Rechtsstreites (American Insurance Association, American Re-Insurance Company, et al. v. John Garamendi in his capacity as Commissioner of Insurance for the State of California; 02 - 722) vor dem U.S. Supreme Court in Washington statt.

Der in 1999 von dem Staat Kalifornien erlassene Holocaust Victim Insurance Relief Akt (HVIRA) verlangt von allen Versicherungsunternehmen, die kalifornischen Unternehmen angegliedert sind und die in den Jahren 1920 - 1945 auf dem europäischen Markt tätig waren, alle Daten über an Holocaustüberlebende verkaufte Policen herauszusuchen und die Namen der Policeninhaber sowie den Status der Policen zu benennen. Anderenfalls droht der Entzug der staatlichen Versicherungslizenz.

Unterstützt von der Bush-Regierung haben die American Insurance Association und einige Versicherungsunternehmen gegen den HVIRA geklagt. Sie sind der Ansicht, dass der Staat Kalifornien mit dem Erlass dieses Gesetzes seinen Kompetenzbereich überschritten habe, da der HVIRA störend in auswärtige Angelegenheiten eingreife. Zwar seien die Einzelstaaten für den Erlass von den Versicherungsbereich betreffenden Gesetzen grundsätzlich zuständig, der Grenzbereich einer lediglich beiläufigen indirekten Beeinträchtigung auswärtiger Angelegenheiten sei hier jedoch ebenso überschritten, wie in dem vom Supreme Court im Jahre 1968 entschiedenen Fall Zschernig v. Miller (389 U.S. 429).

Dieser Argumentation entgegengetreten sind der Aufsichtsbeamte des Versicherungswesens des Staates Kalifornien John Garimendi sowie weitere Aufsichtsbeamte des Versicherungswesens anderer U.S. Staaten, 52 Kongressmitglieder und eine Anwaltskanzlei, beauftragt von hunderten von Holocaustüberlebenden. Garimendi behauptete das Gesetz greife nicht in auslandspolitische Ziele der U.S.A. ein, sondern ermögliche den kalifornischen Verbrauchern, eine sachkundige Auswahl zwischen den unterschiedlichen Versicherungsanstalten zu treffen. Insoweit unterscheide sich dies Gesetz nicht von vielen Anderen. Versicherungsunternehmen die den Holocaustüberlebenden Informationen über bestehenden Policendaten und somit Versicherungsleistungen vorenthalten, könnten auch anderen Versicherungsnehmer rechtswidrig den Deckungsschutz versagen.

Das Gericht erster Instanz entschied den Fall zugunsten der Versicherungsunternehmen. Das neunte Bundesberufungsgericht in San Francisco erachtete das Gesetz für rechtmässig und wies die Klage ab. Entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens vor dem Supreme Court dürfte sein, ob die Richter sich der Argumentation der Kläger gegenüber aufgeschlossen zeigen und die "Foreign Affairs Doctrine" anwenden.

Die Foreign Affairs Doctrine

In 1968 entschied der U.S. Supreme Court einen der ungewöhnlichsten Fälle seiner Geschichte; den Fall Fall Zschernig v. Miller (vgl. Kirgis, American Journal of International Law, Volume 92 No.4 p.704, Zischernig v. Miller and the Breard Matter, Oktober 1998). Während des Kalten Krieges verabschiedete der Staat Oregon das "anti communist Oregon probate law". Dieses Gesetz bestimmte, dass die Erben eines amerikanischen Erblassers, die in kommunistischen Ländern lebten, ihre Nachlassansprüche nur dann durchsetzen dürften, wenn der kommunistische Staat es U.S. Bürgern erlaube, unter den gleichen Umständen zu erben, was nicht der Fall war. Obwohl die Gesetzgebung zur Regelung von Nachlassverfahren traditionell den Einzelstaaten obliegt und das Gesetz mit bundesstaatlichen Rechten oder Verträgen nicht kollidierte, wurde es vom Supreme Court verworfen. Ein solches einzelstaatliches Gesetz müsse zurücktreten, begründete das Gericht, wenn es dem Erfolg der bundeseinheitlichen US-Auslandspolitik im Weg stehe (Foreign Affairs Doctrine). Der Staat Oregon könne sich die Kommunistische Welt nicht offiziell zum Feind machen, denn ein eventueller Angriff der USSR hätte auch für alle weiteren 49 Staaten schwere Konsequenzen.

Die Reichweite der Zschernig Entscheidung ist jedoch unklar. Oft wird sie als Unikat des Kalten Krieges bezeichnet, da das Gericht in dem Urteil - über den Einzelfall hinaus - von dem Einfluss, den die Vorurteilen des Kalten Krieges auf Gesetze und Gerichtsentscheidungen hätten, spricht. Zudem hat der Supreme Court sich seit dem nie mehr direkt auf die Entscheidung bezogen. Nunmehr 35 Jahre später, beruft sich die American Insurance Association in der Klagebegründung direkt auf diese Entscheidung (In the Supreme Court of the United States American Insurance Assosiation, American Re-Insurance Company,et al. Pettioners, v. John Garamendi, in his capacity as Commissioner of Insurance for the State of California, Respondent. Brief for the Petitioners). Denn auch hier unterliefe ein Staat die US-Auslandspolitik, indem er versuche, seine Regelungsbefugnis in andere Länder hinein auszuweiten. Denn der HVIRA konzentriere sich ausschliesslich auf Geschäfte die vor Jahrzehnten in Europa zwischen Europäern geschlossen worden seien. Auch das Bestreben, den Holocaustüberlebenden den Zugriff auf die seit langem verlohrenen Versicherungspolicen zu erleichtern, erfordere ein solches Gesetz nicht, da zu diesem Zweck die "International Commission on Holocaust Era Insurance Claims" gegründet worden sei.

Die International Commission on Holocaust Era Insurance Claims

Nachdem die Versicherungsunternehmen lange Zeit Anfragen der Holocaustüberlebenden einfach ignorierten oder behaupteten, die gezahlten Lebens- oder Kapitalversicherungsbeträge seien von dem Naziregime eingezogen worden und gälten somit als gezahlt, folgten in den USA der 90er Jahren zahlreiche Versicherungsklagen. Um den Holocaustüberlebenden die Klagen zu ersparen und der Versicherungsindustrie dauerhaften Rechtsfrieden zu garantieren, wurde 1998 von dem U.S. State Department die International Commisson on Holocaust Era Insurance Claims einberufen, die alleiniges Rechtsmittel für alle Versicherungsklagen der Nazizeit sein sollte (Office of the Spokesman, U.S. Department of State, International Commission on Holocaust Era Insurance Claims Begins World-Wide Effort to Identify Unpaid Claims (Feb. 15, 2000); see Pet. App. 177a; Statement of Ambrassador M. Bell, Spezial Envoy for Holocaust Issues). Diese internationale Kommission setzt der natonalen Vereinigung der amerikanischen Versicherungskommissare, einigen europäischen Versicherungsgesellschaften, Vertretern von jüdischen Organisationen, dem Staat Israel und europäischen Versicherungsaufsichtsbehörden zusammen. Sie verfügt mittlerweile über acht Millionen Namen von Versicherungsnehmern deutscher Versicherungsunternehmen und über hunderttausende Namen von Versicherungsnehmern anderer europäischer Versicherungsunternehmen. Die Versicherungsindustrie hinterlegte bei der Kommission $ 275 Millionen als Sicherheit.

Dennoch wurden der Kommission immer noch nicht von allen Versicherungsunternehmen alle Namen mitgeteilt, so dass kürzlich erst das Klagemoratorium für die Erhebung der Klagen auf Ende September 2003 verlängert werden musste. Der zähe Prozess der Aktenfindung würde durch den kalifonischen Holocaust Victim Insurance Relief Act erheblich beschleunigt, argumentieren die Aufsichtsbeamten des Versicherungswesens und die jüdischen Gruppen. Auch habe der Fall nichts gemein mit dem Zschernig Urteil, denn im Gegensatz zum Oregon Probate Law beinhalte der HVIRA keine Kritik an einer ausländischen Regierung.

Ausblick

Etwa zur gleichen Zeit wie Kalifornien den Holocaust Victim Insurance Relief Act, erlies auch der Staat Florida ein ähnliches Gesetz, das - weitergehend als der HVIRA - den Versicherern einen Strafschadensersatz in dreifacher Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens auferlegen wollte. Diese Gesetz wurde von dem elften Bundesberufungsgericht in Atlanta für verfassungswidrig erklärt. Der Supreme Court ist an dieses Urteil jedoch nicht gebunden und kann auch zugunsten Kaliforniens urteilen.

Diversen Pressemitteilungen zufolge müsse der Supreme Court bei seiner Entscheidung jedenfalls berücksichtigen, dass wenn es der Oregon Präzedenzfall zur Urteilsgrundlage machen sollte, dies der Bundesregierung in Washington ein Vetorecht gegen Gesetze - und potentielle Gerichtsverfahren - einzelner Staaten geben könnte, wenn ausländische Unternehmen betroffen sind. Dies könne gerade im Zeitalter der Globalisierung weitreichenden Konsequenzen auf das Machtgefüge des Bundes zu den Einzelstaaten haben.


*Die Verfasserin ist Diplomfinanzwirtin, studierte Jura in Köln und ist Rechtsreferendarin am Landgericht in Köln. Sie wirkt zur Zeit in ihrer Auslandswahlstation in der Washingtoner Kanzlei Berliner, Corcoran & Rowe LLP.,welche die Bundesrepublik Deutschland als Amicus Curiae in zahlreichen Holocaust-Fälen in den Verfahren bis zum Supreme Court vertreten hat.