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Ankläger und Anwalt des Staates



Von Dr. Michael Nehring *
Erstveröffentlicht am 27. November 2007


Einführung

Zu den Besonderheiten des amerikanischen Strafprozesses gehört neben dem aus einschlägigen Verfilmungen bekannten Verfahren vor einer möglichst unvoreingenommenen Jury die spezifische Stellung der Beteiligten im Verfahren. Insbesondere die Position des Staatsanwalts unterscheidet sich in gewisser Weise von der Rolle im deutschen Strafprozess, ist er doch mehr Ankläger und Inquisitor zu Lasten des Beschuldigten und Angeklagten als dies im deutschen Ermittlungs- und Hauptverfahren der Fall ist.

Organisation der Staatsanwaltschaft

Organisatorisch wirkt sich auch bei den Staatsanwälten die Trennung zwischen bundesstaatlichem und einzelstaatlichem Recht in den Vereinigten Staaten aus. So gibt es auf lokaler Ebene zum einen die United States Attorneys, die grundsätzlich für die Verfolgung von Bundesverbrechen zuständig sind und vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt werden. Sie arbeiten unter dem Vorsitz des Generalstaatsanwalts und Justizministers, dem Attorney General in Washington, DC, und besitzen Zuständigkeit für die Verfolgung von Bundesverbrechen, Federal Crimes, begangen im Bezirk eines bestimmten Bezirksgerichts, District Court.

Daneben verfügen die Einzelstaaten über lokale einzelstaatliche District Attorneys, die je nach Bundesstaat auch als Commonwealth's Attorney, State's Attorney, County Attorney oder County Prosecutor bezeichnet werden. Diese sind in ihrem jeweiligen Bezirk für die Verfolgung von einzelstaatlichen Straftaten zuständig.

Da anders als in Deutschland die Strafgewalt zunächst primär den einzelnen Bundestaaten obliegt und diese ihre eigenen Strafgesetze erlassen und in eigener einzelstaatlicher Kompetenz strafen, wird die Mehrzahl der Kriminalfälle regelmäßig durch die einzelstaatlichen Staatsanwälte bearbeitet. Unter die sogenannten Federal Crimes, Vergehen die durch Bundesgesetz unter Strafe gestellt sind und bei denen der Bund ausnahmsweise die Strafkompetenz an sich gezogen hat, fallen beispielweise Entführung, Menschenhandel, Banknotenfälschung und bestimmte terroristische Straftaten. Die Bundesverbrechen finden sich abschließend in Titel 18 des US Code. Hier obliegt die Strafverfolgung den United States Attorneys des Bundes.

Eine Sonderrolle kommt auch insoweit dem District of Columbia mit der Bundeshauptstadt Washington zu. In diesem nicht einzelstaatlich strukturierten Rechtskreis übernimmt der United States Attorney ausnahmsweise neben der Verfolgung des Bundesverbrechen auch die Verfolgung von Verbrechen nach dem Recht des Districts, dem DC Code und dem Common Law des District of Columbia, vgl. DC Code, Titel 23, Kapitel 1, 101(c), §23-101(c). Eine Ausnahme besteht bei Verkehrsverstößen und bestimmten lokalen Ordnungswidrigkeiten, die durch das Corporation Counsel, den Justizminister des Rechtskreises samt angeschlossener städtischer Ordnungsbehörde, verfolgt werden, vgl. §23-101(a),(b).

Parteilichkeit

Jenseits der organisatorischen Besonderheiten ist es aber besonders die Rolle des Staatsanwalts und das Verständnis vom Staatsanwalt als Anklagevertreter und Advokat zu Lasten des Angeklagten, die ihn von seiner Rolle im deutschen Verfahren unterscheiden. Ist der deutsche Staatsanwalt gemäß §160 Abs. 2 StPO zumindest theoretisch auch zur Ermittlung der entlastenden Tatsachen und stets neutraler Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, so versteht sich das amerikanische Verfahren deutlich mehr als kontradiktorisches Verfahren, in welchem der Staatsanwalt als Partei dem Angeklagten in der Rolle des Anklägers gegenübersteht. Das entspricht seiner Stellung im adversarial System. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung sind selbst dafür verantwortlich, alle relevanten Beweise vorzulegen. Dem Richter bzw. der Jury kommt die Rolle einer neutralen Drittinstanz zu, die versucht aus den Beweisangeboten, die Wahrheit zu ermitteln.

Beibringungsgrundsatz

Eng mit der Parteilichkeit des Staatsanwalts und des privaten Strafverteidigers oder Public Defenders verbunden ist das Erfordernis der eigenverantwortlichen Beibringung und Glaubhaftmachung von Beweisen und Entlastungstatsachen im Adversarial System. Wird im deutschen Prozess die Ermittlungsarbeit genuin durch die staatliche Behörde der Staatsanwaltschaft - auch zugunsten des Beschuldigten - durchgeführt und erlangt der Strafverteidiger, soweit überhaupt vorhanden, seine Informationen vielfach, neben Auskunft des Beschuldigten, erst durch und nach Einsichtnahme in die staatsawaltschaftlichen Ermittlungsakten, kommt der eigenständigen Ermittlung durch den Beschuldigten und dessen Verteidiger in den Vereingten Staaten ein deutlich größeres Gewicht zu. Eine umfassende und neutrale Amtsermittlungspflicht gibt es in dieser Art und Weise nicht. Das Erfordernis des Vorbringens entlastender Umstände ist eher vergleichbar mit dem Beibringungsgrundsatz im deutschen Zivilprozess. Dabei liegt die Beweislast, wie in den meisten anderen Rechtsordnungen, bei der Staatsanwaltschaft. Sie muss über einen berechtigten Zweifel hinaus, beyond a reasonable doubt, die Schuld des Angeklagten beweisen (in dubio pro reo).

Strafprozess

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren beginnt für den Staatsanwalt regelmäßig mit einer Anfrage der zunächst ermittelnden oder das konkrete Geschehen aufnehmenden Polizei zur Beantragung eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten oder mit einer schlichten polizeilichen Meldung. Der Staatsanwalt entscheidet dann, nach Beurteilung der eigenen örtlichen, sachlichen und intrastaatlichen Zuständigkeit, ob die betreffende Person wegen eines Verbrechens verfolgt werden und wegen welcher Verbrechen überhaupt ein Verfahren eröffnet werden soll. Im polizeilichen Erstzugriff erfolgt noch keine Festlegung hinsichtlich einer konkreten Tat.

Ergibt das danach eingeleitete Ermittlungsverfahren hinreichende Hinweise auf die Tatbegehung durch den Beschuldigten, so kann die Staatsanwaltschaft auf zwei Wegen, abhängig vom konkreten Delikt, Anklage, Indictment, beim zuständigen Bezirksgericht, District Court, erheben. Die zugrundegelegte Verdachtsstufe entspricht dabei regelmäßig dem hinreichenden Tatverdacht deutscher Prägung, Probable Cause. Das heißt Klage wird erhoben, soweit nach vernünftiger Überzeugung zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer gedachten Hauptverhandlung die Verurteilung des Beschuldigten jenseits vernünftiger Zweifel, beyond a reasonable doubt, hinreichend wahrscheinlich erscheint. Den Normalfall der Anklageerhebung bildet eine sogenannte Bill of Information der Staatsanwaltschaft an das Gericht. In schwerwiegenden Straffällen verlangt jedoch der 5. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten die Anklage durch die Grand Jury. Dabei präsentieren Staatsanwaltschaft und Verteidigung bereits vor Prozesseröffnung dieser besonderen Jury das ermittelte be- und entlastende Material zur Begründung der Frage, ob überhaupt angeklagt werden soll. Das Verfahren erinnert an die Discovery des Zivilverfahrens und wird durch den genannten Beibringungsgedanken und das spezifische Rollenverständnis von Staatsanwaltschaft und Verteidigung geprägt. Die anschließende Anklageverlesung erfolgt vor Gericht, Arraignment, und ist im Regelfall der erste Kontakt des Beschuldigten und nunmehr Angeklagten mit dem Gericht.

Das folgende Hauptverfahren findet in mehreren Stufen statt. Den Beginn bildet in einer Vielzahl der Fälle das sogenannte Plea Bargaining. Es handelt sich dabei der Sache nach um ein Aushandeln der Strafe, das der Entlastung der Gerichte dient. Auch hier tragen wiederum Staatsanwaltschaft und Verteidigung ent- und belastende Umstände als Verhandlungsmasse vor. Der Staatsanawalt schlägt eine geringere Bestrafung im Gegenzug gegen ein Geständnis vor. Nimmt der Angaklgte diesen Vorschlag an, so erkennt er sich vor dem Richter schuldig, der ihn regelmäßig entsprechend verurteilen wird, aber nicht muss. Die Methode wird nicht nur bei unbedeutenden Fällen angewandt, sorgt dort aber für eine enorme Arbeitserleichterung der Gerichte. In bedeutenderen Fällen und bei Nichtzustandekommen einer Einigung im Plea Bargaining kommt es meist unmittelbar zur streitigen Verhandlung. Diese beginnt mit einer Präsentation der belastenden Beweismittel durch die Staatsanwaltschaft gegenüber der Jury, sodann einer Vorstellung der entlastenden Momente durch die Verteidigung. Zeugen können von der gegnerischen Seite vernommen werden. Dabei gilt es, Jury und Richter von Schuld oder Unschuld des Angeklagten auf Grundlage des Vorgebrachten im Sinne des Adversarial System zu überzeugen. Eine Befragung durch den Richter oder die Jury ist ebenso wenig vorgesehen wie ein letztes Wort des Angeklagten. Jury oder Richter, soweit keine Jury einberufen ist, sind allein auf die Argumente beider Parteien angewiesen. Nach Abschluss der Eingangsinstanz, in der Erkenntnis- und Bestrafungsverfahren gemeinsam oder stufenweise behandelt werden, obliegt es dem Staatsanwalt zudem, Rechtsmittel, Appeal, einzulegen. Eine Berufung gegen einen Freispruch ist dem Staatsanwalt allerdings regelmäßig verwehrt.

Verwaltungs- und Zivilverfahren

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu der Stellung des Staatsanwalts in Deutschland besteht beim Staatsanwalt amerikanischer Prägung schließlich darin, dass es sich um einen echten Anwalt des Staates handelt. Neben der Geltendmachung des Strafbegehrens als staatlicher Aufgabe ist er zugleich Vertreter des Bundes- oder des Einzelstaates in verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten. Er nimmt auch in solchen Verfahren die staatlichen Interessen wahr und agiert als parteiischer Anwalt zugunsten der öffentlichen Hand.


*   Dr. Michael Nehring studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er promovierte bei Prof. Kindhäuser über die strafrechtliche Bekämpfung krimineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland. Er absolviert zur Zeit seinen Referendardienst im Landgerichtsbezirk Bonn. Daneben arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Böse am Strafrechtlichen Institut der Universität Bonn. Die Interessenschwerpunkte seiner juristischen Arbeit liegen im nationalen, europäischen und internationalen Strafrecht sowie im internationalen Verfahrensrecht. Derzeit ist er im Rahmen seiner Wahlstation bei der Washingtoner Wirtschaftskanzlei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP tätig.


Zitierweise / Cite as: Nehring, Ankläger und Anwalt des Staates, 16 German American Law Journal (27. November 2007), http://www.amrecht.com/nehring-staatsanwaltschaft-2007.shtml




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