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Vertragserfüllung in den USA USA: Jeder Staat mit eigenem Recht Googles Haftung für Bildersuche Internationaler Ausforschungsbeweis Punitive Damages im Supreme Court: State Farm Auf Deutsch: US-Recht Zivil-/Zivilprozessrecht Öffentliches Recht Straf-/Strafprozessrecht Sonstiges In English: German Law Authors / Verfasser Wahlstation Washington © 1991-2017 C. Kochinke, Rechtsanwalt u. Attorney at Law, Washington, DC, USA |
Ankläger und Anwalt des StaatesVon Dr. Michael Nehring * Zu den Besonderheiten des amerikanischen Strafprozesses gehört neben dem aus einschlägigen Verfilmungen bekannten Verfahren vor einer möglichst unvoreingenommenen Jury die spezifische Stellung der Beteiligten im Verfahren. Insbesondere die Position des Staatsanwalts unterscheidet sich in gewisser Weise von der Rolle im deutschen Strafprozess, ist er doch mehr Ankläger und Inquisitor zu Lasten des Beschuldigten und Angeklagten als dies im deutschen Ermittlungs- und Hauptverfahren der Fall ist. Organisatorisch wirkt sich auch bei den Staatsanwälten die Trennung zwischen bundesstaatlichem und einzelstaatlichem Recht in den Vereinigten Staaten aus. So gibt es auf lokaler Ebene zum einen die United States Attorneys, die grundsätzlich für die Verfolgung von Bundesverbrechen zuständig sind und vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt werden. Sie arbeiten unter dem Vorsitz des Generalstaatsanwalts und Justizministers, dem Attorney General in Washington, DC, und besitzen Zuständigkeit für die Verfolgung von Bundesverbrechen, Federal Crimes, begangen im Bezirk eines bestimmten Bezirksgerichts, District Court. Parteilichkeit Jenseits der organisatorischen Besonderheiten ist es aber besonders die Rolle des Staatsanwalts und das Verständnis vom Staatsanwalt als Anklagevertreter und Advokat zu Lasten des Angeklagten, die ihn von seiner Rolle im deutschen Verfahren unterscheiden. Ist der deutsche Staatsanwalt gemäß §160 Abs. 2 StPO zumindest theoretisch auch zur Ermittlung der entlastenden Tatsachen und stets neutraler Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, so versteht sich das amerikanische Verfahren deutlich mehr als kontradiktorisches Verfahren, in welchem der Staatsanwalt als Partei dem Angeklagten in der Rolle des Anklägers gegenübersteht. Das entspricht seiner Stellung im adversarial System. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung sind selbst dafür verantwortlich, alle relevanten Beweise vorzulegen. Dem Richter bzw. der Jury kommt die Rolle einer neutralen Drittinstanz zu, die versucht aus den Beweisangeboten, die Wahrheit zu ermitteln. Beibringungsgrundsatz Eng mit der Parteilichkeit des Staatsanwalts und des privaten Strafverteidigers oder Public Defenders verbunden ist das Erfordernis der eigenverantwortlichen Beibringung und Glaubhaftmachung von Beweisen und Entlastungstatsachen im Adversarial System. Wird im deutschen Prozess die Ermittlungsarbeit genuin durch die staatliche Behörde der Staatsanwaltschaft - auch zugunsten des Beschuldigten - durchgeführt und erlangt der Strafverteidiger, soweit überhaupt vorhanden, seine Informationen vielfach, neben Auskunft des Beschuldigten, erst durch und nach Einsichtnahme in die staatsawaltschaftlichen Ermittlungsakten, kommt der eigenständigen Ermittlung durch den Beschuldigten und dessen Verteidiger in den Vereingten Staaten ein deutlich größeres Gewicht zu. Eine umfassende und neutrale Amtsermittlungspflicht gibt es in dieser Art und Weise nicht. Das Erfordernis des Vorbringens entlastender Umstände ist eher vergleichbar mit dem Beibringungsgrundsatz im deutschen Zivilprozess. Dabei liegt die Beweislast, wie in den meisten anderen Rechtsordnungen, bei der Staatsanwaltschaft. Sie muss über einen berechtigten Zweifel hinaus, beyond a reasonable doubt, die Schuld des Angeklagten beweisen (in dubio pro reo). Strafprozess Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren beginnt für den Staatsanwalt regelmäßig mit einer Anfrage der zunächst ermittelnden oder das konkrete Geschehen aufnehmenden Polizei zur Beantragung eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten oder mit einer schlichten polizeilichen Meldung. Der Staatsanwalt entscheidet dann, nach Beurteilung der eigenen örtlichen, sachlichen und intrastaatlichen Zuständigkeit, ob die betreffende Person wegen eines Verbrechens verfolgt werden und wegen welcher Verbrechen überhaupt ein Verfahren eröffnet werden soll. Im polizeilichen Erstzugriff erfolgt noch keine Festlegung hinsichtlich einer konkreten Tat. Verwaltungs- und Zivilverfahren Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu der Stellung des Staatsanwalts in Deutschland besteht beim Staatsanwalt amerikanischer Prägung schließlich darin, dass es sich um einen echten Anwalt des Staates handelt. Neben der Geltendmachung des Strafbegehrens als staatlicher Aufgabe ist er zugleich Vertreter des Bundes- oder des Einzelstaates in verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten. Er nimmt auch in solchen Verfahren die staatlichen Interessen wahr und agiert als parteiischer Anwalt zugunsten der öffentlichen Hand. * Dr. Michael Nehring studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er promovierte bei Prof. Kindhäuser über die strafrechtliche Bekämpfung krimineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland. Er absolviert zur Zeit seinen Referendardienst im Landgerichtsbezirk Bonn. Daneben arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Böse am Strafrechtlichen Institut der Universität Bonn. Die Interessenschwerpunkte seiner juristischen Arbeit liegen im nationalen, europäischen und internationalen Strafrecht sowie im internationalen Verfahrensrecht. Derzeit ist er im Rahmen seiner Wahlstation bei der Washingtoner Wirtschaftskanzlei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP tätig. Zitierweise / Cite as: Nehring, Ankläger und Anwalt des Staates, 16 German American Law Journal (27. November 2007), http://www.amrecht.com/nehring-staatsanwaltschaft-2007.shtml Zur Hauptseite Zu aktuellen Berichten zum amerikanischen Recht |