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© 1991-2015 C. Kochinke, Rechtsanwalt u. Attorney at Law, Washington, DC, USA

Communications Decency Act, ACLU v. Reno, U.S. v. Thomas

von Andreas Günther
Erstveröffentlichung Juli 1996

Die Strafvorschriften des Communications Decency Act stehen in den USA weiterhin auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand.

Am 8. Februar 1996 hatte Präsident Clinton den "US Telecommuniations Act 1996" unterzeichnet (Volltext z.B. in CompuServe, GO RECHT, Lib. 9, "Computerrecht"). Er enthält unter anderem Strafvorschriften (den sogenannten Communications Decency Act), die eine Verbreitung von Pornographie über Online-Dienste und das Internet verhindern und Kinder vor anstößigen Schriften schützen sollen. Die Vorschriften sind schon im Vorfeld als Zensurversuch kontrovers diskutiert worden und haben nach ihrem Erlaß zu Protestaktionen (z.B. schwarzen Web-Seiten), aber auch Verunsicherung in den Online- und Internet-Gemeinden geführt. Der CDA enthält beispielsweise eine Strafvorschrift, die eine wissentliche Verbreitung bzw. Zugänglichmachung obszöner oder anstößiger ("obscene or indecent") Inhalte an Kinder unter 18 Jahren mittels Telekommunikationsdiensten mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren bedroht (47 U.S.C. sec. 223(a) und (d)). Danach würde das schlichte Angebot anstößiger Darstellungen ohne spezifische Sicherungen im Internet ausreichen, um den Tatbestand zu verwirklichen.

Über die rechtspolitischen Erwägungen hinter der Strafdrohung und das Verhältnis zu den "First Amendment"-Rechten (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit etc.) läßt sich streiten. Aus juristischer Sicht entzündet sich die Diskussion vor allem an dem Begriff "indecent"; zu deutsch: unanständig, anstößig. Während der Begriff "obscene" sich auch in anderen Strafnormen findet und durch eine Reihe von Gerichtsentscheidungen konkretisiert worden ist, sei "indecent" zu unbestimmt, um den für Strafnormen geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsätzen zu genügen.

Mit dieser Argumentation hatte schon am 15. Februar 1996 ein Bundesgericht in Philadelphia (United States District Court for the Eastern District of Pennsylvania) auf Betreiben von Bürgerrechtsgruppen, Online-Nutzern und einer Reihe von Providern als einstweilige Verfügung eine "Temporary Restraining Order" erlassen, die eine Anwendung der entsprechenden Strafnormen zunächst wegen Unbestimmtheit verhindert. (Der Text der Order ist z.B. in CompuServe im Legal Forum GO LEGAL, Lib. 2 "Computer/Tech Law" zu finden.) Das US-Justizministerium hatte zudem kurz nach Inkrafttreten des CDA zugesichert, daß es zunächst keine Strafverfolgung nach diesen neuen Vorschriften gebe; andere Strafvorschriften, die im Internetkontext Anwendung finden können, wurden nicht ausgesetzt.

Am 11. Juni 1996 hat nun das Gericht in Pennsylvania eine Verfügung ("permanent injunction") erlassen, die bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Supreme Court dazu führt, daß die Strafvorschriften nicht angewendet werden können (ACLU v. Reno; Volltext in CompuServe im Legal Forum GO LEGAL, Lib. 18 "Attys on Internet"; oder über Internet). Die Entscheidung wird von der Internetgemeinde allgemein als "Sieg der Demokratie im Cyberspace" gefeiert. Sie ist ausführlich begründet und liest sich streckenweise wie eine Einführung in die Grundlagen des Internet, wie folgendes Zitat belegt:

" ... the Internet may fairly be regarded as a never-ending worldwide conversation. The Government may not, through the CDA, interrupt that conversation. As the most participatory form of mass speech yet developed, the Internet deserves the highest protection from governmental intrusion. True it is that many find some of the speech on the Internet to be offensive, and amid the din of cyberspace many hear discordant voices that they regard as indecent. The absence of governmental regulation of Internet content has unquestionably produced a kind of chaos, but as one of plaintiffs' experts put it with such resonance at the hearing: "What achieved success was the very chaos that the Internet is. The strength of the Internet is that chaos." Just as the strength of the Internet is chaos, so the strength of our liberty depends upon the chaos and cacophony of the unfettered speech the First Amendment protects."

Das Urteil entfaltet zunächst nur Wirkung in dem Gerichtsbezirk, in dem es erlassen worden ist. Am 29. Juli 1996 hat aber beispielsweise auch ein Bundesgericht in New York eine ähnliche Entscheidung gefällt und den CDA als zu weitgehend angesehen. Der Schutz von Kindern sei zweifellos notwendig, aber das Gesetz werde den technischen Gegebenheiten nicht gerecht ("not carefully tailored to technological realities").

Schon seit Inkrafttreten des Gesetzes wird vermutet, daß die Demokraten und Präsident Clinton, die nach langem Ringen dem Kompromiß im Rahmen des Telecommunications Act Anfang des Jahres zugestimmt hatten, bewußt eine recht harsche Strafvorschrift auf Vorschlag der Republikaner hingenommen haben, um das Gesamtpaket zum Telekommunikationsrecht nicht zu gefährden. Dies sei in der Annahme geschehen, daß die verabschiedete Version ohnehin nicht verfassungsgemäß sei und vor den Gerichten nicht standhalten würde.

Jetzt liegt die Sache bei dem Obersten Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten, der ab Oktober wieder tagt und vielleicht schon vor Ende des Jahres endgültig entscheiden könnte. Gerade erst im Juni hat der Supreme Court ein Urteil im Hinblick auf eine ähnlich gelagerte Problematik im Kabelfernsehbereich erlassen (Denver Area Consortium v. FCC; Volltext z.B. in CompuServe im Legal Forum, GO LEGAL, Lib. 13 "Supreme Court") und einige Regelungen des 1992 Cable Act für unwirksam erklärt: Der Entscheidung lagen Vorschriften zugrunde, die Kabelbetreiber, die ihre Kapazitäten an kommerzielle Anbieter vermieten, dazu verpflichten, anstößige ("patently offensive, indecent, sex-related") Programmangebote zu verschlüsseln ("scramblen"), soweit nicht eine schriftliche Einverständniserklärung des Empfängers vorliegt. Ferner wurde den Kabelbetreibern auch gestattet, den Programmanbietern, die die Kabelnetze nutzen wollen, solche Inhalte ganz zu verbieten. In dieser Pauschalität hielten die Gesetzesvorschriften der verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Urteil ist nicht einstimmig ergangen und durch eine Reihe von Sondervoten einzelner Richter gekennzeichnet. Rückschlüsse auf die anstehende Internetentscheidung lassen sich nur schwer ziehen. Es bleibt abzuwarten, auf welche Standards sich Content-Provider, Online-Dienste und Sysops langfristig einstellen müssen.

Daß Betreiber und Sysops von Onlinediensten und Mailboxen schon jetzt in den USA unter Umständen strafrechtliche Sanktionen fürchten müssen, verdeutlicht ein Urteil des unter anderem für den Bundesstaat Tennessee zuständigen Berufungsgerichtes vom 29. Januar 1996: U.S. v. Thomas, 6th Cir. 1996 (Volltext ist z.B. in CompuServe im Legal Forum, GO LEGAL, Lib. 2 "Computer/Tech Law"). Vor Gericht standen die Betreiber einer Mailbox, die ca. 14000 pornographische Bilder ("sexually-explicit GIF files") zum download bereithielten und entsprechende Videobänder zum Verkauf anboten. Auf der Basis älterer Strafnormen, die eine Verbreitung obszönen Materials über die Grenzen eines einzelnen Bundesstaates hinweg verbieten, wurden die Betreiber zu Haftstrafen von bis zu 37 Monaten verurteilt. Weder wurde der Einwand der Angeklagten zugelassen, bei den in Form von Nullen und Einsen übertragenen "GIF-Files" handele es sich nur um unkörperliche Objekte ("intangibles") und insofern müsse sich die strafrechtliche Zulässigkeit nach den Vorschriften über Telefonsex-Gespräche und die dazu ergangenen "dial-a-porn"-Entscheidungen richten und nicht nach den von der ersten Instanz angewendeten Vorschriften für körperliche Gegenstände ("tangible objects"). Noch wurde eine Berufung auf die Meinungs- und Pressefreiheit ("First Amendment") zugelassen. Auch hierzu ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen, da andere Berufungsgerichtsbezirke des Bundes zu anderen Entscheidungen gelangen können und auch die Gerichte der Einzelstaaten nicht an diese Entscheidungen gebunden sind.


  *   The author studied law and economics at the University of Bayreuth, Germany, obtained a masters degree from the University of London, Great Britain and worked as a tutor and research assistant at the University of Munich, Germany. He is presently a Rechtsreferendar with Berliner, Corcoran & Rowe, LLP in Washington D.C. and will start pactising law in Munich, Germany in November 1996 with Antoine & Schneider. He is a member of the "Deutsche Gesellschaft fü¼r Informatik und Recht e.V." and the "Deutsche EDV-Gerichtstag e.V.". He authored several articles on computer-assisted legal instruction, expert systems, data protection, product liability and software protection and is co-editor of a Newsletter on "EDV-Recht" published via Recht-Online on CompuServe, GO RECHT.


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